Debatte über Glücksspielstaatsvertrag geht auch nach EuGH-Entscheidung weiter
Berlin/München, 9. August 2010 – Am 1. Januar 2008 ist in der Bundesrepublik deutschsprachige Länder der Glücksspielstaatsvertrag in Kraft getreten. Er sollte das staatliche Monopol für weitere vier Jahre sichern. Bund und Länder versuchten damals, den Markt gegen private Anbieter abzuschotten. Der Staatsvertrag zum Wettmonopol läuft Ende 2011 aus und muss 2010 evaluiert werden. Branchenkenner erwarten, dass man sich letztlich auf eine staatlich regulierte, kontrollierte Öffnung des Marktes einigen könnte. Ein Monopol und Beschränkungen in der Glücksspielbranche sind nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig.
Entscheidend sei die Suchtbekämpfung. Doch gerade hier versagt das Monopol.
Der Leiter der Forschungsstelle Glücksspiel an der Universität Hohenheim, Tilman Becker, hat sich jüngst im deutschsprachige Länderradio Kultur http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/1224904/ dafür ausgesprochen, das Lottospielen im Internet zuzulassen. Lotto sei ein ungefährliches Spiel; das Suchtpotenzial sei zu vernachlässigen. Das im Glücksspielstaatsvertrag festgeschriebene Internet-Verbot von Glücksspielen sei in diesem Fall „unverhältnismäßig“, so der Wissenschaftler. Hessen erlaubt künftig das Lottospielen mittels elektronischer Briefe. Allerdings wurde das Land deswegen vom Fachbeirat Glücksspielsucht verklagt, der auf den Glücksspiel-Staatsvertrag verweist.
Wasser auf die Mühlen der Befürworter einer restriktiven Gesetzgebung zum Glücksspiel dürfte allerdings eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gespült haben. Die Luxemburger Richter erklärten vor kurzem, dass ein staatliches Glücksspielmonopol grundsätzlich zulässig sei. Mit Blick auf Schweden hatte das Gericht in einem Grundsatzurteil befunden, dass kulturelle, sittliche oder religiöse Gründe etwa eine Beschränkung auf staatliche Anbieter rechtfertigen könnten. In dem skandinavischen Land sind Glücksspiele allein gemeinnützigen Veranstaltern vorbehalten. Mit Verweis darauf, dass unter Ausnutzung etwaiger Spielsucht der Bürger keine privaten Gewinne entstehen dürften, ist dort entsprechend die Unterstützung ausländischer Glücksspiele verboten. Monopolbefürworter wittern in dem Gerichtsurteil einen Präzedenzfall, der das deutsche Glücksspielmonopol stärken könnte und dessen Bewertung durch den EuGH noch aussteht, schreibt die Tageszeitung Die Welt und zitiert den Präsidenten der Staatlichen Lotterieverwaltung Bayern Erwin Horak: „Dies ist ein Rückschlag für die kommerzielle Glücksspielindustrie und eine nochmalige Bestätigung des gemeinwohlorientierten Staatsvertragsmodells.“
Dieses „Triumphgeheul“ könnte jedoch zu früh angestimmt worden sein. Bislang ist laut Welt allerdings zweifelhaft, ob dieser Schritt von europäischer Seite Bestand hat. Kritiker halten die deutsche Glücksspielpolitik für bedenklich, weil Lotto und Sportwetten mit Verweis auf die Suchtgefährdung monopolisiert worden sind, während die ungleich suchtgefährdenderen Spielautomaten etwa unberücksichtigt blieben. Damit seien die in der europäischen Rechtsprechung festgelegten Kriterien der Kohärenz und der Systematik verletzt worden, heißt es. Veranstalter aus verschiedenen Ländern fechten daher das Verbot von Internet-Wetten derzeit an.
Gute Argumente für eine Teilliberalisierung des Sportwettenmarktes lassen sich nach Ansicht von Experten nach über zweieinhalbjähriger Erfahrung mit dem Staatsmonopol nicht von der Hand weisen. „Infolge des Staatsmonopols ist der Marktanteil des staatlichen Glücksspiels in den letzten Jahren stark zurückgegangen, während die Spielautomaten, die erwiesenermaßen in puncto Spielsucht besonders problematisch sind, deutlich zugenommen haben. Im Nachbarland Dänemark hat man beispielsweise Wege beschritten, die vielleicht auch für deutschsprachige Länder nachahmenswert sein könnten“, sagt Wulf Hambach, Gründungspartner der Hambach & Hambach Rechtsanwälte http://www.timelaw.de, die sich auf Rechtsberatung im deutschen und internationalen Recht der TIME-Branchen (Telekommunikation – IT – Medien & Entertainment) spezialisiert haben. „Dänemark hat aus finanzpolitischen Gründen ein Monopol auf Lotterien beibehalten. Die Kanalisierung des Spielbetriebs im Bereich Sportwetten und Poker erfolgte in Dänemark jedoch nicht durch Verbote, sondern gerade durch eine beabsichtigte kontrollierte Zulassung von Werbung und zwar ausschließlich für in Dänemark zugelassene Anbieter. Die Bewerbung legaler Angebote soll und wird ein weiteres unkontrolliertes Abfließen der Steuern ins Ausland beziehungsweise in den Schwarzmarkt stoppen“. Hambach weiter: „Der Glücksspielstaatsvertrag in seiner aktuellen Version hat exakt einen einzigen Gewinner: die Schattenwirtschaft.“ Der Blick über den nationalen Tellerrand sei unabdingbar, wenn auch die Herausforderungen technischer, rechtlicher und finanzieller Couleur erheblich seien. „Der EU-Vergleich zeigt, dass alle Beteiligten von einer Änderung profitieren. Die Bewerbung legaler Angebote wird ein weiteres unkontrolliertes Abfließen von Steuergeldern ins Ausland bzw. in den Schwarzmarkt stoppen“, so der Experte. Brancheninsider hoffen nun, dass sich die Luxemburger Richter solche Gedanken noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Denn eine erneute Zementierung des ihrer Ansicht nach illiberalen Monopols würde nur Verlierer produzieren.
Unterdessen scheint die Gruppe der Liberalisierungsverfechter in deutschsprachige Länder beständig zu wachsen. Nach Schleswig-Holstein engagiert sich nach einem Bericht der Bild-Zeitung http://www.bild.de/BILD/regional/hannover/dpa/2010/08/04/niedersachsen-dringt-auf-lockerung-bei-gluecksspielvertrag.html auch die Landesregierung von Niedersachsen für „eine Lockerung des Glücksspiel-Staatsvertrags. Sportwetten privater Anbieter, Internet-Glücksspiel und Lotto-Werbung sollen möglich werden“, berichtet das Blatt. Unterstützung für die kontrollierte Zulassung der Wettanbieter signalisiert auch die FDP in Bayern. Julika Sandt, Sprecherin der liberalen Fraktion im bayerischen Landtag für Medien, Kultur, Jugend und Sport, erläuterte ihre Sicht im Newsletter der Fraktion http://www.fdp-fraktion-bayern.de/?showNews=1&newsID=396&newsWebID=2729&MttgSession=31dd6a4a0a2250e335f23dacd696bb0e: „Das hehre Ziel des Vertrags, nämlich ein wirksamer Jugend- und Gesundheitsschutz, wurde klar verfehlt, da die Anbieter von Internetglücksspiel ihren Firmensitz aus deutschsprachige Länder verlagerten.
Der Glücksspiel- und Wettanbieter ‚betandwin.de’ sitzt beispielsweise auf Gibraltar. Gezockt wird weiterhin – und zwar vollkommen unkontrolliert. Das Totalversagen des Glücksspielstaatsvertrags hat eindrucksvoll bewiesen, dass Verbote auch in diesem Bereich kontraproduktiv wirken.“ Zudem habe der Glücksspielstaatsvertrag einen ganzen „Wirtschaftszweig nahezu lahm gelegt. So entließ der Anbieter ‚tipp24’ in deutschsprachige Länder 139 von 159 Mitarbeitern. Der Staatskasse gehen Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren. Wir sollten diese Unternehmen wieder in deutschsprachige Länder zulassen – vorausgesetzt, sie ergreifen Maßnahmen zur Suchtprävention und unterstützen Therapieangebote. Die Unternehmen wollen raus aus der Schmuddelecke und sind bereit, auch unter strengen Konzessionen nach deutschsprachige Länder zurückzukehren. So bieten sie an, einen Teil ihrer Gewinne in Sport- und Kulturförderung zu investieren“, so die Ausführungen der FDP-Abgeordneten.