Deutscher Glücksspielstaatsvertrag verliert seine Existenzgrundlage

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes – Deutscher Glücksspielstaatsvertrag verliert seine Existenzgrundlage

Luxemburg/München, 9. September 2010 – Die Diskussion über einen neuen Rechtsrahmen für Lotto und Glücksspiel muss ab sofort neu begonnen werden. „Die Uhren müssen sozusagen auf Null gestellt werden“, sagt der Gaming-Law-Experte Dr. Wulf Hambach. Seine Kanzlei Hambach & Hambach Rechtsanwälte in München, die auf EU-weites Glücksspiel- und Wettrecht spezialisiert sind, hatte das Unternehmen Carmen Media vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gebracht. „Das aktuelle Urteil des EUgH macht deutlich: Der Glücksspielstaatsvertrag verstößt gegen Europarecht. Das schleswig-holsteinische Modell könnte richtungsweisend sein, um die sprichwörtliche ‚Kuh vom Eis‘ zu bekommen. Der EuGH hat in einer so nicht erwarteten Deutlichkeit festgestellt, dass die tragenden Vorschriften des geltenden Glücksspielstaatsvertrages mit den Grundfreiheiten des Binnenmarktes nach dem Unionsrecht nicht vereinbar sind.“

Die Beispiele England und Italien beweisen laut Hambach, dass legalisierte Märkte besser kontrollierbar sind: „In Großbritannien beispielsweise existiert seit Jahren ein liberalisierter, aber kontrollierter Markt, der sowohl den Belangen der Spielsuchtprävention wie auch dem Jugendschutz und der Betrugsvorbeugung gerecht wird.“

Politiker sehen dies ähnlich. Für Werner Langen ist die Liberalisierung des Glücksspiels der einzig richtige Weg. Langen ist Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, dem er seit 1994 angehört. Der Politiker, der in den Bereichen Wirtschaft und Währung sowie im Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie tätig ist, gilt als einer der erfahrensten und profiliertesten deutschen Politiker in Brüssel. Die Argumentation der Bundesländer zum Erhalt des Glücksspielmonopols sowie zum Ausschluss ausländischer Anbieter sei widersprüchlich und verlogen, kritisiert Langen, der die von der Landesregierung in Schleswig-Holstein vorgestellten Eckpunkte für eine neue Regelung des deutschen Glücksspielstaatsvertrags hingegen ausdrücklich begrüßt.

Auch in Bayern tut sich etwas. Es gibt Anzeichen dafür, dass auf politischer Ebene die Bereitschaft zu einer moderaten Öffnung insbesondere des Sportwettenmarktes besteht. „Der derzeitige Glücksspielstaatsvertrag bewirkt, dass Spieler per Internet im Ausland zocken. Die Ziele – Spielerschutz und Suchtprävention – werden glatt verfehlt. Würde man Internet-Glücksspiele zulassen, könnte man einerseits die Spieler schützen und andererseits mit dem Erlös den Breitensport fördern“, meint die bayerische FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt, die sich auch als Vorsitzende des Schul- und Wissenschaftsausschusses im Landessportbeirat engagiert.

Der niedersächsische FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr ist der Meinung, dass eine kontrollierte Regulierung des Glücksspielmarktes seinem Bundesland deutliche Verbesserungen auf der Einnahmenseite bringen könne. Dürr zufolge lassen sich unter anderem durch Änderungen am Glücksspielstaatsvertrag erhebliche Mehreinnahmen erzielen. „Neue Studien ergeben, dass das Land durch eine Regulierung des Glücksspielmarktes im Vergleich zu heute zwischen 150 und 200 Millionen Euro mehr einnehmen kann.“ Für Dürr geht es dabei nicht nur um Einnahmen für den Landeshaushalt, sondern auch um eine gesicherte Finanzierung der Wohlfahrtsverbände und des Breitensports. „Die Glücksspiel-Einnahmen in Niedersachsen sind in den vergangenen Jahren um 27 Prozent eingebrochen. Bei einer Regulierung des Marktes geht es also auch gerade darum, die Abgaben für gemeinnützige Zwecke mittel- und langfristig zu sichern.“ Dürr macht zugleich deutlich, dass das Lottomonopol für ihn nicht zu Disposition stehe. Seiner Meinung nach lässt es sich auch juristisch begründen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in seinen bisherigen Entscheidungen deutlich gemacht, dass Betrugsvorbeugung und Verbraucherschutz legitime Gründe für das Lotto-Monopol seien. Auch in anderen EU-Ländern gebe es getrennte Regelungen, die nicht beanstandet würden.

Ein Vorbild für eine solche Liberalisierung könnte das dänische Modell sein. „Nur ein legalisierter Markt kann kontrolliert werden und auch Wertschöpfung ermöglichen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der schleswig-holsteinischen CDU-Landtagsfraktion, Hans-Jörn Arp. Bis zu 30.000 Jobs könnten bei einer kontrollierten Liberalisierung entstehen.
Trotzdem passt es immer noch einigen Landespolitikern sehr gut „in den Kram“, wenn alles beim Alten bleibt. Die Glücksspielaufsichten der Länder und die Lottogesellschaften stehen traditionell eng beieinander, die größtmögliche Bewahrung des Status quo scheint von großer Bedeutung zu sein. Neue sprudelnde Steuerquellen, ein optimierter Rechtsschutz und eine bessere Förderung des Breitensports scheint den Monopolbefürwortern unter den Landspolitikern wenig wichtig zu sein. Nach dem Urteil des EUgH sind die Anhänger des Monopols aber deutlich in die Defensive geraten.

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