Zukunft des Glückspielrechts

Innenminister Holger Hövelmann (SPD) erklärte auf der heutigen Landtagssitzung zum Antrag der FDP-Landtagsfraktion zur Zukunft des Glücksspielrechts in Sachsen-Anhalt:„Der Antrag der FDP greift ein Thema auf, das nicht zuletzt durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 8. September 2010 in den Vordergrund der öffentlichen Diskussion gerückt ist. Ich erlaube mir daher zunächst, zu diesen Entscheidungen Folgendes klarzustellen:

Die in der Presse vielfach getätigte Aussage „Das Glücks­spielmonopol ist gekippt”, die auch in dem hier vorliegenden Antrag der FDP zum Ausdruck kommt, trifft nicht zu. Er entspringt wohl eher dem Wunschdenken einer -zugegebenermaßen finanzstarken und einflussreichen – Lobby. Jeder, der die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes sorgfältig gelesen hat, wird das feststellen können.

Er bestätigt in seinen Urteilen nämlich erneut, dass ein Mitgliedsstaat ein Monopolsystem auf Sportwetten und Lotterien einem Erlaubnissystem für private Veranstalter vorziehen kann. Allerdings muss dies dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies ist nach Auffassung des Gerichts der Fall, wenn die Errichtung des Monopols mit der Einführung eines normativen Rahmens einhergeht, der dafür sorgt, dass der Inhaber des Monopols tatsächlich in der Lage ist, das Ziel – hohes Verbraucherschutzniveau, Suchtprävention – mit einem Angebot, das nach Maßgabe dieses Ziels quantitativ bemessen und qualitativ ausgestaltet ist und einer strikten behördlichen Kontrolle unterliegt, in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen.

Weiterhin darf in der Diskussion nicht außer Acht gelassen werden, dass Grundlage der Entscheidungen des EuGH Feststellungen der vorlegenden Gerichte (VG Schleswig-Holstein, VG Gießen, VG Stuttgart und VG Köln) sind, die zum Zeitpunkt der Entscheidungen teilweise bereits überholt waren.

Zu den Feststellungen eines nationalen Gerichts führt der EuGH aus:

Bleiben – erstens – Werbemaßnahmen des Monopolinhabers nicht auf das begrenzt, was erforderlich ist, um Verbraucher auf legale Angebote hinzuweisen, sondern zielen sie darauf ab, den Spieltrieb der Bevölkerung zu fördern und zwecks Maximierung der Einnahmen zur Spielteilnahme zu stimulieren,

und dürfen – zweitens – Glücksspiele von privaten Veranstaltern, die über eine Erlaubnis verfügen, betrieben werden,

und wird – drittens – in Bezug auf Glücksspiele, die nicht unter das Monopol fallen und ein höheres Suchtpotential aufweisen, von den zuständigen Behörden eine Politik zur Entwicklung und Stimulation der Spieltätigkeit betrieben oder geduldet, um Einnahmen zu maximieren,

dann kann dieses Gericht berechtigten Anlass zu der Schlussfolgerung haben, dass ein solches Monopol nicht geeignet ist, die Erreichung der mit Errichtung des Monopols verfolgten Ziele – Vermeidung von Spielausgaben, Bekämpfung der Spielsucht – zu gewährleisten. Denn es trägt dann nicht dazu bei, Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die Tätigkeiten in kohärenter und systematischer Weise zu begrenzen.

Mit anderen Worten: der Europäische Gerichtshof hat zu den Feststellungen der vorlegenden Gerichte eine sehr vorsichtig formulierte mögliche Auslegungshilfe gegeben.

Was bedeuten die EuGH – Entscheidungen nun für den Glücksspielstaatsvertrag und das Glücksspielgesetz des Landes Sachsen-Anhalt?

Die Entscheidungen haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf diese Vorschriften, die deshalb auch weiterhin anzuwenden sind. Die Gerichte werden allerdings unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH in den bei ihnen anhängigen Verfahren zu entscheiden haben, ob der Glücksspielstaatsvertrag und die jeweiligen Landesgesetze den unionsrechtlichen Anforderungen genügen. Es kommt also entscheidend darauf an, welche Feststellungen die Gerichte bei ihren Entscheidungen zugrunde legen. Das kann z. B. auch bedeuten, dass Gerichte feststellen, die glücksspielrechtlichen Regelungen sind europarechtskonform.

In diesem Zusammenhang wird der noch in diesem Jahr zu erwartende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in den bayrischen glücksspiel­recht­lichen Revisionsverfahren eine zentrale Bedeutung zukommen. Beim Bundes­verwaltungsgericht ist im Übrigen auch ein Revisionsverfahren aus Sachsen-Anhalt anhängig.

Gleichwohl zeigen die Betrachtungen des EuGH, dass es Handlungsbedarf gibt. Im Gegensatz zu den deutschen Obergerichten hat der EuGH nämlich keine sektorale Betrachtung – nur Sportwetten und Lotterien – angestellt, sondern – was vernünftig ist – bezieht den gesamten Glücksspielbereich ein. Daher sind auch das gewerbliche Spiel und die Pferdewetten zu untersuchen.

Im Hinblick auf das gewerbliche Spiel, das nach dem Stand der derzeitigen Forschung eine wesentliche höhere Suchtrelevanz aufweist als andere Glücksspiele, sind gesetzgeberische Maßnahmen unumgänglich, sei es von Seiten des Bundes mit einer Anpassung der Spielver­ordnung und/oder von den Ländern durch Ausnutzung ihrer Gesetzgebungs­kompetenzen im Recht der Spielhallen.

Die Länder befassen sich bereits seit einiger Zeit mit den Zukunftsperspektiven des Glücksspielwesens. Die CdS-Konferenz hat daher in ihrer Sitzung am 16./17. September 2010 einer Arbeitsgruppe auf der Ebene der Staatskanzleien der Länder den Auftrag erteilt, bis zur Ministerpräsidentenkonferenz am 20. – 22. Oktober 2010 ein Modell zur Weiterentwicklung des Monopols bei Sportwetten und Lotterien und eine Variante zur konzessionierten Öffnung des Sportwettenangebotes unter Beibehaltung des Lotteriemonopols zu prüfen und dabei die Rechtsprechung des BVerfG und des EuGH zu berücksichtigen. Ich darf Ihnen versichern, dass beide Modelle ernsthaft geprüft werden. Ich kann Ihnen auch versichern, dass die Länder durchaus am staatlichen Lotteriemonopol festhalten wollen und hinsichtlich der Zukunft des Glücksspielwesens ein einheitliches Vorgehen anstreben.

Allerdings will ich Ihnen an dieser Stelle nicht verhehlen, dass eine Öffnung des Sportwettenmarktes unter Beibehaltung des Lotteriemonopols im Hinblick auf das Grundrecht auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG auch mit verfassungs­rechtlichen Risiken verbunden ist. Ob für ein Lotteriemonopol noch eine Recht­fertigung vorliegt, wenn ein Normgesetzgeber die zuvor für das Sportwettenmonopol ausschlaggebenden suchtpräventiven Gründe als nicht mehr erforderlich ansieht, sie jedoch für das Lotteriemonopol beibehält, ist mehr als fraglich.

Schließlich ist auch die steuer- und abgabenrechtliche Seite eines Liberalisierungsmodells noch nicht abschließend geklärt. Ob und in welchem Umfang eine steuer- bzw. abgabenrechtliche Veranlagung, insbesondere von ausländischen Anbietern, zulässig ist, sollte rechtssicher feststehen, ehe eine grundsätzliche Entscheidung getroffen wird. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass im Falle einer Teilliberalisierung die bisherige Grundlage für die hohen Abgaben, das Alleinstellungsmerkmal “Monopol” der staatlichen Anbieter, entfiele. Die Aus­wirkungen auf die gesamte Finanzierung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher oder mildtätiger Zwecke und die zweckgebundene Finanzierung für Sport, Kultur sowie Soziales müssen genau betrachtet werden.

Der Antrag der FDP zielt darauf ab, bereits jetzt eine Bindung des Landtages auf das Modell einer Teilliberalisierung zu erreichen. Ich werbe ausdrücklich dafür, sich zunächst alle rechtlichen und tatsächlichen Vor- und Nachteile der beiden Modelle sowie die damit verbunden Risiken zu vergegenwärtigen und zu diskutieren. Für eine sachgerechte Entscheidung ist es auch zwingend geboten, sich über alle Folgen, die die jeweiligen Modelle nach sich ziehen, im Klaren zu sein. Diesem Prozess sollte nicht durch die von der FDP gewünschte Beschlussfassung in der heutigen Sitzung vorgegriffen werden.

Ich bitte Sie daher, dem Antrag der FDP nicht zuzustimmen.”

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