„Geld ist mir doch völlig egal“

„All in“ – wer Texas-Hold’em- Poker spielt, liebt diesen Ruf. Dann ist die Schauspielkunst zumeist vorbei. Über das Glück, die Sucht und den Heiligen Gral der Spieler. Ein Gespräch mit Daniel Negreanu, einem der besten Pokerspieler der Welt.

Texas Hold’em ist in aller Munde. Die Pokervariante, bei der ein Spieler zwei Karten verdeckt hält und mit fünf auf dem Tisch aufgelegten Gemeinschaftskarten kombiniert, fasziniert mit schrillen Figuren in Casinos und TV-Sendungen, es beschert Internet-Plattformen Millionenumsätze. Nicht immer gewinnt der Profi, mitunter sind es auch Teenager oder waschechte Anfänger.

Wer vor dem „Buy-in“, dem Eintrittsgeld zu großen Turnieren, nicht zurückschreckt, konnte dieser Tage für 5300 Euro sein Glück im Kursalon Hübner versuchen. Mittendrin saß Daniel Negreanu (36). Der Kanadier ist einer der erfolgreichsten Pokerspieler der Welt und gewährte Einblicke in sein Leben. Nur in die Karten ließ er sich nicht schauen. Daniel Negreanu, warum wird man Pokerspieler? Und ist es „die Erfüllung“? Ich habe als Teenager zu spielen begonnen, noch während der Schulzeit. Ich hatte zwar gute Noten, dachte aber, dass ich nicht den üblichen Weg einschlagen will, ich wollte für mich etwas Besonderes machen. Als Pokerspieler bist du immer dein eigener Boss. Niemand sagt dir, du musst dies oder das tun, oder die Uhrzeit. Ich arbeite, wenn ich dazu bereit bin – oder Lust habe. Ist Poker für Sie jetzt ein Beruf, Mittel zum Zweck oder nur ein besseres Hobby? In meinen Anfängen war es ein Fulltime-Job. Ich lebte in Las Vegas und spielte jeden Tag nonstop. Aber im Lauf der Zeit wurde ich erfolgreicher, also spiele ich jetzt nicht mehr so viel. Es geht an die Substanz, und auch Profis brauchen ein Time-out. Welche Rolle spielt Geld für Sie? Ich spiele nicht mehr des Geldes wegen.

Mir ist Geld vollkommen egal. Als Profi muss es dir das auch sein. Ich habe auch keine dicke Uhr oder trage fette Goldketten, das bin ich nicht. Ich bin der geblieben, der ich immer war. Es gibt aber zwei Bereiche, in denen Geld das Leben leichter macht: in der Businessclass im Flugzeug und in guten Hotels. Ein Geizkragen sollte sich also besser nicht an den Tisch setzen? Die Wahrheit ist doch, wie gut du spielst. Viele Profis haben sicherlich die Beziehung zu Geld verloren. Es geht manchmal um Unsummen, aber du willst schließlich spielen – also darfst du nicht nachdenken, wie viel da auf dem Tisch liegt. Wenn es um deine letzten Dollars geht, ist die Situation natürlich eine ganz andere. Beim Poker darfst du nicht mit einem Auge auf die Karten schielen und mit dem anderen auf dein Bankkonto. Wenn es nicht um Geld geht, was ist dann der Anreiz, überhaupt Poker zu spielen? Ich will der Beste, die Nummer eins sein – immer. Ich will bei den World Series in Las Vegas das Armband im Main-Event gewinnen. Dafür sitze ich mitunter 15 Stunden pro Tag im Rio-Casino. Das Armband ist für Pokerspieler der Heilige Gral. Ist Poker nun Glücksspiel oder doch ein „höherer Denksport“, bei dem Mathematik und Schauspielkunst gefragt sind? Im Casino spielst du nur gegen die Bank. Egal, ob Blackjack, Roulette oder am Automaten – dein einziger Gegner bleibt immer das Casino. Hier geht es um Glück, das ist im Poker nicht ausschließlich der Fall. Da spielst du gegen andere Menschen. Wenn du smarter bist als die anderen, dann kannst du mit schlechten Karten gewinnen. Es kommt darauf an, ob dir dein Gegenüber das Image abnimmt, das du verkörperst. Wie groß ist die Gefahr, dass man nach Poker süchtig wird? Wissenschaftliche Studien belegten, dass jeder Mensch schnell nach allem süchtig werden kann. Es ist egal, ob es jetzt Sex, Alkohol, Zigaretten oder das Glücksspiel ist. Poker ist für Spielsüchtige allerdings das Letzte, denn es geht ihnen nicht schnell genug. Es blinken keine Lichter, es klingelt kein Automat, und wenn du Pech hast, dauert es Stunden, bis du gewonnen hast. Doch an einem Pokertisch kann man auch sein ganzes Geld verspielen… Es gab Tage, an denen habe ich Millionen Dollar verloren und wenige Stunden später wieder gewonnen. Natürlich ist es schrecklich, wenn man so viel Geld verliert – wer will schon ein Loser sein? Ich habe auch einmal mit einem Full House gegen einen Poker verloren. Da waren mit einer Hand 575.000Dollar weg. Ich habe viel darüber nachgedacht und meine Lehren daraus gezogen. Welche Spielweise bevorzugen Sie: jene um schnelles Bargeld oder langsame Turniere? Das kommt darauf an, um welche Limits es sich handelt. Wenn es das größte Cash-Game in der Welt mit Einsätzen über 10.000 Dollar und einem Pot von mehreren 100.000 Dollar ist, dann genieße ich es. Da spielst du nur gegen die Besten, nur gegen sie will ich spielen – ob am Tisch oder bei Pokerstars im Internet. Mit Verlaub: Ein Einsatz von fünf oder zehn Dollar interessiert mich nicht mehr. Und bei welchen Einsätzen wird Ihr Ehrgeiz wirklich geweckt? Wenn ich im Internet spiele, sind es Grundeinsätze ab 200 und 400 Dollar pro Runde. In Las Vegas spiele ich gerne im Bellagio, da geht’s im eigenen Pokersalon mit 2000/4000 Dollar los – pro Runde versteht sich.

Wie würden Sie die Karten 2 und 7 – statistisch das schlechteste Blatt im Poker – spielen? Das kann ich jetzt nicht sagen. Es kommt doch auf die Situation an. Wie viele und welche Typen sitzen neben dir, habe ich eine gute Position? Um wie viel Geld geht es? Wurde erhöht, wer geht mit? Wirst du geblufft, oder ist dein Gegner ein Esel, weil er sich nicht auskennt? Wie liest man einen Bluff? Das ist eine gute Frage, ich glaube, es hängt mit der Erfahrung zusammen. Leckt einer seine Lippen, zupft er an seinem Ohr, wird er unruhig, still, oder beginnt er auf einmal blöd zu quatschen? Es gibt verschiedene Verhaltensweisen – Poker ist also auch Psychologie! Wie sehr hat sich das Image der Pokerspieler verändert? Durch TV und Internet erhält man vorschnell den Eindruck, sie wären Stars. Manche von uns fühlen sich sicher wie Rockstars. Durch das Internet wurde das Spiel endgültig zu einem globalen Event. Wenn ich heute ins Bellagio komme, öffnen sich für mich alle Türen, und mein Zimmer ist längst fertig für mich vorbereitet. Ich genieße es, nur wundere ich mich die ganze Zeit, wo denn meine Groupies geblieben sind… ■

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